Tag 3

Liebe Freund*innen,

liebe Mitstreiter*innen,

wir möchten Euch auf diesem Wege über den dritten Verhandlungstag (Donnerstag, 23.04.2015) sowie die Planungen für die weitere Prozessbegleitung informieren.

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Der dritte Prozesstag begann um 9:30 Uhr, ab 8:30 Uhr erfolgte der Einlass, auch dieses mal hat die Übergabe der Plätze an die Angehörigen gut geklappt.

Die bekannte verurteilte Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel hat am Donnerstag den Prozess besucht, sie kam allein und ging allein. Da die wartende Schlange nicht ausreichend lang war, konnte sie wie alle anderen Wartenden auch Einlass erhalten. Sie ist nach ca. 1 – 1,5 Stunden wieder gegangen (scheinbar konnte sie die Aussagen des Angeklagten nicht mehr hören, da er mehrfach bestätigte, dass und wie die Menschen umgebracht wurden, sprach vom Holocaust und über 1 Millionen ermordeter Juden in Auschwitz, dies ließ sie mehrfach zusammen zucken) und hat vor dem Gericht noch länger mit einem Reporter, den sie im Gerichtssaal ansprach, gesprochen. Es handelte sich hierbei um einen Reporter von Panorama, am Abend wurde die Sendung ausgestrahlt.

Der Prozesstag begann mit der Befragung des Angeklagten durch die Vertreter der Nebenklage. Alle Fragen / Antworten können wir hier nicht wiedergeben, aber einige wichtige dennoch.

Der Angeklagte wurde von Anwälten der Nebenklage darauf hingewiesen, dass die hinter ihnen in der Reihe sitzenden Personen Auschwitz überlebt haben und fragten ihn, ob er sich das damals hätte vorstellen können. Nein, das konnte er sich nicht vorstellen. Er ging also vom Tod aller nach Auschwitz Deportierten aus.

Ein Anwalt befragte den Angeklagten, ob er schon einmal selbst in die Kasse gegriffen habe, um sich persönliche Vorteile (durch Korruption innerhalb des Lagersystems) zu verschaffen. Dies verneinte er zunächst. Mehrfach hat der Angeklagte seit Prozessbeginn darauf hingewiesen, dass er dreimal seine Versetzung beantragt habe, da er aufgrund der Gräueltaten, die er in Auschwitz sah, nicht mehr dort arbeiten wolle. Diese Versetzungsanträge sind nicht nachweisbar, seine Personalakte sei verschwunden. Er hätte also versuchen können, seinen von ihm genannten Versetzungsanträgen durch Geld nachhelfen zu können. Dies hat er nicht getan. Als er dann von einem weiteren Anwalt darauf hingewiesen wurde, dass er sehr wohl zu seinem eigenen Vorteil in die Kasse gegriffen habe, da er dies bereits in einem BBC Interview angegeben hat, korrigierte der Angeklagte seine Aussage. Ja, er habe Geld genommen, um sich dafür eine zweite Pistole zu kaufen. Ergo: Er stiehlt Geld, um sich eine zweite Pistole zu kaufen, aber er stiehlt kein Geld, um seinem angeblich starken Wunsch, von Auschwitz weg versetzt zu werden, Nachdruck zu verleihen. Der Angeklagte hat sich auch in weiteren Punkten in Widersprüche verwickelt, so in der wichtigen Frage seiner Tätigkeit an der Rampe, zu der er angibt, nur dreimal dort gewesen zu sein. Dies hat er in einer Befragung als Beschuldigter 1978 anders angegeben, während der sog. „Ungarn–Aktion“ seien sie ständig an der Rampe gewesen. Als er mit seinen unterschiedlichen widersprüchlichen Angaben konfrontiert wurde, gab er an, er hätte sich damals vorsichtiger ausgedrückt, wäre ihm bekannt gewesen, dass ihm das heute vorgehalten würde (!). (Aussage vom 2. Verhandlungstag). Derlei dreiste Aussagen kommen häufig und bringen nicht nur den Angeklagten in ein anderes Licht als das von ihm „in Reue und Demut“ erwünschte, sondern richten den Fokus auf das Thema, das den Prozess wie ein roter Faden durchzieht: die Geschichte der deutschen Justiz im Umgang mit NS-Verbrechern. Die Ermittlungen gegen den Angeklagten Ende der 1970er führten wie so viele Verfahren zu einer Einstellung, aber er berichtete im Prozess, dass er ja auch schon so von einem Kriminalbeamten in Nienburg zur Befragung begrüßt wurde: „Herr Gröning, machen sie sich keine Sorgen, das wird schon alles…“

Es folgten die Aussagen der ersten Zeugen der Nebenklage, die Überlebenden Max Tibor Eisen und William Glied. Beide haben in Auschwitz ihre gesamte Familie verloren, sie sind an der Rampe von ihrer Familie getrennt worden und mit ihrem Vater bzw. Vater und Onkel zur Zwangsarbeit geschickt worden. Sie haben das Vernichtungslager als einzige überlebt. Ihr Vater bzw. Vater und Onkel starben durch Krankheit und Vergasung, als sie als „nicht mehr arbeitsfähig“ „selektiert“, also ermordet wurden.

Es waren sehr berührende Ausführungen, da sie beide die selben Ereignisse und Abläufe der Tötungsmaschinerie beschrieben wie am Tag zuvor der Angeklagte, aber dieser es in einer brutal nüchternen bürokratischen Sprache darlegte (der NDR bezeichnete es treffend alsSS Jargon vor Gericht“) und die beiden Überlebenden aus ihrer persönlichen Sicht schilderten. Dies wird nun auch in den Medien (die noch anwesend sind) mehr gewürdigt und die Perspektive der Überlebenden dargestellt, ihre Sicht, ihr Schicksal, ihre Erinnerungen und Empfindungen, ihr Anliegen nach Anerkennung des Unrechts, das ihnen angetan wurde, ihre Forderung nach Gerechtigkeit. William Glied bezeichnete es als Omen, dass er sich am 21.04.1945 von seinem sterbenden Vater verabschieden musste und genau 70 Jahre später beginnt dieser Prozess. Eine gute Zusammenfassung über den Prozesstag bietet dieser Artikel:

www.welt.de/politik/deutschland/article140003625/SS-Mann-Groening-stahl-Geld-der-Ermordeten.html

Wir möchten Euch darauf hinweisen, dass wir uns bemühen, die Inhalte zu dokumentieren (mehr als in den kurzen Mails), aber es ist uns nicht erlaubt, Schreibmaterial in den Gerichtssaal zu nehmen. Kein Kuli, kein Bleistift, nichts. Daher speisen wir unsere Infomails aus der Erinnerung und versuchen, diese für die kommenden Prozesstage durch standardisierte Gedächtnisprotokolle in den Pausen zu verbessern. Besser wäre natürlich, wir könnten mitschreiben…

Kommen wir nun zum Ausblick, in der nächsten Woche sind zwei Verhandlungstage angesetzt:

Dienstag, 28.04. 2015 und Mittwoch, 29.04.2015, Beginn jeweils um 9:30 Uhr, Einlass jeweils um 8:30 Uhr. Am Dienstag werden Hedy Bohm und Eva Pusztai–Fahidi als Zeuginnen der Nebenklage aussagen. Es ist kein so frühes Erscheinen wie in der vergangenen Woche nötig, wir empfehlen jedoch, spätestens um 8:00 Uhr dort zu sein.

Wer sich vorstellen kann, den Prozess an einem oder mehreren Terminen zu begleiten und mit zu dokumentieren, melde sich bitte bei uns, damit wir eine kontinuierliche Prozessbegleitung gewähren können. Für die kommende Woche haben sich schon Menschen gefunden, aber ihr seid eingeladen, zu jedem Termin zu kommen, da in den kommenden Terminen die Überlebenden sprechen werden und dies sehr wertvolle Aussagen sind. Sie freuen sich auch, wenn Interessierte an der Verhandlung teilnehmen.

Hier die gesamten Termine des Prozesses bis Ende Juli, gebt uns gerne eine Rückmeldung, wenn ihr einen / mehrere übernehmen wollt.

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Wir möchten uns bei Euch allen sehr herzlich für die Unterstützung und das aktive Mitmachen bedanken. Ohne Eure Beteiligung wäre die bisher geleistete Arbeit während dieses historischen Prozesses in Lüneburg nicht möglich gewesen. Vielen Dank!

Mit antifaschistischen Grüßen

Antifaschistische Aktion Lüneburg / Uelzen